Welt und Zeit im Kaleidoskop

Werner Petzold – die Galerie Carqueville im Hauptsitz der Firma in Töppeln widmet dem Maler ihre neue Ausstellung

Von Angelika Bohn

Werner Petzold liebt die Bewegung. Nicht nur auf seinen Bildern. Er muss sich bewegen, wenn er malt. Der Malgrund und er, das ist eine Duett. Ein Duett, mal musikalisch und schwerelos wie beim Pas de deux, mal verbissen und kraftvoll wie zwei Ringer auf der Matte. Petzold muss weit ausholen können, wenn er malt. So ist das beim ihm seit 50 Jahren.

Kleinteilig vor sich hin friemeln ist seine Sache nicht. Obwohl er natürlich auch akribisch genau und ganz fein zeichnen kann. Schließlich hat Werner Petzold, 1940 in Leipzig geboren, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Malerei und Grafik studiert. Doch das kleine Format hat ihn wohl auch nie besonders interessiert.

Weit mehr interessiert den 77-Jährigen, mit welchen seiner abstrakten oder figurativen Bildern er in der Galerie Carqueville zeigen wird, was ihn als Künstler und Mensch bewegt und beschäftigt. Wie das große Wandbild, das er eigens für diese Ausstellung gemalt hat, wirken wird. Welche Sujets er von Berlin nach Töppeln bei Gera mitnimmt, wie sich die Rückkehr an die Orte anfühlen wird, wo Ende der 60er Jahre bei der Wismut seine Karriere begann.

68 Motive auf 281 Werken von Werner Petzold, schreibt die Kunstwissenschaftlerin Annette Müller-Spreitz in ihrem Text zur Ausstellung „Sonnensucher!“, befinden sich im Kunstbestand der SDAG Wismut. Es ist das drittgrößte Konvolut dieser Sammlung. Um sein größte Gemälde, das Monumentalbild „Die friedliche Nutzung der Atomkraft“ zu sehen, muss man nach Löbichau, einen Ort hinter Ronneburg, fahren. Dort steht das für die Stirnseite des Hauptgebäudes des Bergbaubetriebs Paitzdorf bei Ronneburg geschaffene Bild heute in freier Landschaft. Es erzählt von einer Zeit, die längst Geschichte ist. Von einer Welt, die nicht mehr existiert. Deren Spuren weitgehend getilgt sind. Von Illusionen, die im Ronneburger Revier schon Jahrzehnte vor Fukushima kaum einer mehr hatte.

Bis 1983 ist Werner Petzold im Wismut-Bergbaubetrieb Paitzdorf fest verankert. Zeitweise hat er im Hauptgebäude ein Atelier. Tausende Menschen arbeiten und leben in Ostthüringen und Westsachsen von Uranerzabbau, gleichzeitig ist alles geheim. Doch Petzold arbeitet nicht nur für die Sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft. Seit 1974 leitet er die Förderklasse für Grafik und Malerei in Gera. Er ist Dozent an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin-Oberschöneweide.

Doch ein Gedanke geht dem inzwischen 43-Jährigen nicht mehr aus dem Kopf. Er sieht, wie der Verband Bildender Künstler der DDR manchen Mitgliedern Anfang der 80er Jahre Studienreisen nach Frankreich und Italien ermöglicht. Er ist nie dabei, wenn es Richtung Westen geht. Das nagt an ihm. So nutzt er 1983 bei einem Aufenthalt in Rumänien die Gelegenheit zur Flucht. Er weiß, bei Gewitter schalten die Rumänen den Strom der Grenzsicherung ab. Er nutzt das Unwetter und schwimmt durch die Donau ans andere Ufer. Mit nichts als seinem Personalausweis und einer Badehose kommt er in Jugoslawien an. Bis seine Identität geklärt ist, sitzt er im Gefängnis. Die Wärter schenken ihm ein paar alte Sandalen, eine viel zu große Hose und ein verwaschenes Shirt. Frei zu sein, das sei ein grandioses Gefühl gewesen, erinnert er sich. Auch das Gefühl, frei von allem Besitz zu sein.

Wohnung und Atelier in Leipzig werden aufgelöst. Nicht einmal Petzolds dicke Stasi-Akte gibt Auskunft über den Verbleib seiner Kunst. Er fängt bei Null wieder an und der Neustart gelingt. Er wechselt die Themen, seine Auftraggeber sind nun Kirchgemeinden. Er schaut sich all das an, was ihm in der DDR verwehrt war: Florenz und Paris, New York und San Franzisco. Er arbeitet am Bodensee und in Hannover.

1990 zieht Werner Petzold ins wieder vereinte Berlin. Der künstlerische Neustart ist ihm da längst gelungen. Wie dieser Maler Flächen organisiert, wie er das Licht führt, wie er mit der Farbe arbeitet, das macht ihm so schnell keiner nach. Längst organisiert er nicht mehr Abstraktes und Figuratives auf ein und der selben Leinwand, wie bei seinen Wismut-Bildern. Er trennt sein Werk in figurative und nonfigurative Bilder. Er malt Frauenakte und Sportszenen. Seit Jahren widmet er einen Werkzyklus den dunklen Seiten der Menschen: Gewalt, Missbrauch und Tod. Ebenso gibt es einen Zyklus zum Thema Theater und Zirkus. Und er malt grandiose abstrakte Tafelbilder, denen er höchsten eine Assoziation zur Musik zugesteht – die Bewegung der Töne fixiert in Farbe und Form.


Die Ausstellung Werner Petzold „abstaction + figure“ ist ab Freitag, den 20. Oktober, zu den Öffnungszeiten im Sanitäts- und Gesundheitshaus Carqueville in Töppeln zu sehen.