Caro Thum inszeniert in Altenburg mit der Komödie „Elling“ ein schauspielerisches Feuerwerk

Von Angelika Bohn

Sie sind zum Knutschen, die beiden Außenseiter Elling und Kjell Barne. Der Eine, ein zarter Hänfling mit Pullunder, superklug und steif wie ein Buchhalter. Der Andere stark übergewichtig, ungepflegt und kaum mehr in der Birne als Essen und Sex.

Der Eine ist, von Mutterliebe erdrückt, in der Psychiatrie gelandet, der Andere wegen Vernachlässigung. Der Eine ist ein Poet, der Andere ein dankbarer Zuhörer selbst der absurdesten Abenteuergeschichten. Besonders turnt es den dicken Kjell an, wenn Elling aus seiner Zeit als Bordellchef erzählt. Kjell giert nach diesen Geschichten, auch als er dann weiß, dass alles erstunken und erlogen und Elling kein Held, sondern ein Angsthase ist.

In der Psychiatrie waren die jungen Männer Zimmergenossen. Doch nun hat die Stadt Oslo beschlossen, Elling und Kjell auszuwildern. Sie haben eine eigene Wohnung und den Auftrag, ihr Leben selbstständig zu meistern. Der Sozialarbeiter Frank wird sie im Auge behalten. Das heißt, er wird sie täglich mehrfach anrufen und unverhofft vor der Tür stehen.

Caro Thum hat auch in Gera und Altenburg längst bewiesen, was für eine kluge und feinsinnige Regisseurin sie ist. „Kassandra“ und „Effi Briest“ hat sie hier inszeniert. Mit „Elling“, dem Schauspiel von Axel Hellstenius nach dem Roman „Blutsbrüder“ aus der „Elling“-Reihe von Ingvar Ambjornsen, betritt Caro Thum ein neues Spielfeld, die Komödie, und beweist auch hier ihre Klasse.

Es kann nur knirschen und quietschen, wenn zwei Außenseiter die Welt der Normalos auf den Prüfstand stellen. Sicher ist telefonieren normal, aber ist es wirklich normal, mit Menschen zu reden, die nicht anwesend sind? Ist es richtig, wenn Franks Freundin ohne ihn nach Griechenland in Urlaub fährt? Ist Telefonsex in Ordnung? Wie verhält man sich, wenn die schwangere Nachbarin volltrunken an der Wohnungstür klingelt und ohnmächtig zusammenbricht? Wie beantwortet man Reiduns Frage richtig, ob Kjell sie mag, wenn man weiß, dass Kjell sie liebt?

Menschen, die nicht so ticken, wie die Mehrheit, sind meist mehr sie selbst. Damit zeigen sie den Anderen, welchen Preis sie für ihre Anpassung zu zahlen haben. Genau das passiert auch in „Elling“ und – es passiert auf höchst amüsante, turbulente und spannende Weise. Caro Thum setzt auf große Gefühle und – husch – bevor es sentimental wird, kommt der nächste Gag. Dabei laufen ihre vier Schauspieler zu Höchstform auf. Johannes Emmrich ist ein großartiger Elling, verklemmt und verschmitzt, ängstlich und mutig, stocksteif und akrobatisch, superklug und Heintje-Fan und ein wahrer Freund für Kjell. Den füllt Ioachim Zarculea mit seiner massiven Körperlichkeit aus und gibt ihm ein so offenes, leeres und zugleich sensibles Gesicht, dass sogar Kjells Fixierung aufs Ficken eher anrührt als abstößt. Manuel Struffolino glänzt nicht nur als scheiternder Sozialarbeiter, er glänzt auch als Heintje. Wie Thum die von Anike Sedello (Bühne und Kostüme) absolut minimalistisch angedeuteten Innen- und Außenräume auf den Punkt organisiert, das ist richtig großes Kino.

Michaela Dazian ist die Frau, um die sich nicht nur alles dreht, sie ist auch das Weibliche an sich und das ebenso üppig wie opulent: als Domina, die Elling zur Wahrheitsliebe verpflichtet, als bügelnde Telefonsexdienstleisterin, als Sängerin, als Kellnerin mit sagenhaft wogendem Hinterteil und als todunglückliche Reidun mit dem schwimmenden Astronauten im Bauch, für die es keine Hoffnung gäbe ohne Elling und Kjell.

Nächste Vorstellung Freitag, 27. Oktober, 19.30 Uhr, Heizhaus Altenburg