Leipzig zeigt die erste große Ausstellung zu Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst

 

Von Angelika Bohn

 

Anlass ist ein Jubiläum: Dreißig Jahre nach 1989 blickt das Museum für bildende Kunst (MbdK) Leipzig aus der Perspektive ostdeutscher Künstlerinnen und Künstler auf DDR, friedliche Revolution und gesellschaftlichen Umbruch zurück.

Es liegt in der Natur von Malerei und Plastik, sie sind keine aktuellen Kommentare zum Tagesgeschehen. Sie reflektieren Welt aus der Sicht eines Ichs. Sie wollen manchmal – und dies ist in der Leipziger Schau deutlich die gemeinsame Klammer – Schlüsselbilder mit kulturellem Symbolcharakter sein. Unausgesprochen interagiert diese Leipziger Ausstellung dreißig Jahre nach der Wende mit einer Ausstellung vor zwanzig Jahren, mit der gespenstigen, dreiteiligen Inszenierung im Kulturstadtjahr Weimar 99 „Aufstieg und Fall der Moderne“. Der kunterbunt über- und untereinander auf faltiger LKW-Plane gehängte DDR-Teil sollte die im Osten Deutschlands über 40 Jahre entstandene Kunst ein für alle mal als Auftragskunst abhaken. Der deutsch-deutsche Bilderstreit war eröffnet.

 

Paul Kaiser hatte 2014 in seinem Beitrag im Katalogbuch zur Ausstellung „Sonnensucher“ mit Werken der Kunstsammlung der Wismut in der Geraer Orangerie sachkundig und unaufgeregt über die Hintergründe der Abwertung des Schaffens von Künstlern nachgedacht, die – ob als Dissidenten oder Staatskünstler – in der DDR lebten. Gemeinsam mit Christoph Tannert und MdbK-Direktor Alfred Weidinger ist Kaiser nun einer der drei Kuratoren der Schau in Leipzig.

 

Unter dem Titel „Point of no return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst“ zeigt sie auf 1500 Quadratmetern 300 Werke von 106 Künstlerinnen und Künstler, deren Ateliers vorwiegend in Leipzig, Chemnitz, Halle und Berlin standen und stehen, die vorwiegend an den Kunsthochschulen Leipzig und Berlin studierten. Um es vorweg zu nehmen, es ist ein, dank malerischen Finesse oft hinreißender, in seiner visionären Kraft immer wieder verblüffender, indes auch überwiegend grüblerischer, düsterer Bilderreigen. Das eint in „kritischer Loyalität“ entstandene Werke wie von innerer und äußerer Emigration geprägte.

 

Doch Leipzig zeigt auch, das Kapitel ostdeutsche Kunst ist kein abgeschlossenes Sammelgebiet, wie man es von Briefmarken kennt. Es gibt eine neue Generation, die sich bewusst mit dieser Tradition verbinden. Sie ist zu jung, um Protagonisten im deutsch-deutschen Bilderstreit zu sein und sie ist auch nicht mehr nur auf die im Osten Deutschlands gelegenen Hochschulen angewiesen. Zugleich blicken sie in ihren Werken auf DDR und BRD. Dabei kommentiert Via Lewandowski in seiner Installation des deutschen Wohnzimmers, „Geteiltes Leid ist halbes Elend“, was die Frage provoziert, ob wirklich alles zusammenwachsen sollte, was zusammen gehört. Peggy Meinfelder lässt mit ihrer Installation „Westpaket“ den Ausstellungssaal nach Schokolade riechen und recherchiert Verteilungsgerechtigkeit. Genaues Hinschauen empfiehlt sich beim Betrachten der Marken, Zeichen und Signets von Ostbetrieben und -institutionen von David Polzin, denn der flüchtige Augenschein trügt.

 

Der Betrachter begegnet Wende-Werken Etablierter wie Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und Lothar Tübke. Er begegnet der 1988 entstandenen „Demonstrantin“ von Gerhard Kurt Müller, dem im selber Jahr entstandenen „Agitator“ von Hans Ticha. Er begegnet Arno Rinks dreiteiliger Bilderfolge von 1991 „Protokoll einer Ministeriumsbesprechung“, Lutz Friedels großem Wandbild „Titanic“ und – er hat fast einen ganzen Saal für sich – dem Wende-Zyklus der großartigen Doris Ziegler. Aber es gibt auch ein Wiedersehen, dank Leihgabe der Kunstsammlung Gera, mit Moritz Götzes buntem „Paar am Strand“ nach Walter Womackas populärem gleichnamigen Bild aus den 60er Jahren. Und es gibt die Chance auf unerhörte Begegnungen, wie etwa mit dem seinen Lebensunterhalt in Gotha, Sondershausen und Weimar als Musiklehrer bestreitenden Maler Hans Winkler.

 

Die in Graitschen bei Jena lebenden Dissidenten und Maler Eve und Frank Rub sind die einzigen, in der Region Ostthüringen zu verortenden Künstler in dieser Schau. Eve Rub ist mit einem Selbstporträt von 1979 vertreten, Frank Rub mit dem großen Tafelbild „Im Wald“ von 1981 und „Verhaftung“ von 1977. Es entsteht also sechs Jahre vor seiner Inhaftierung im Stasi-Gefängnis Gera. Die Präsenz der Rubs in Leipzig weist aber auch auf eine Fehlstelle im Thüringer Kunstbetrieb hin. In dreißig Jahren seit der Wende ist es hier nicht gelungen, diese beiden Künstler mit einer großen Ausstellung zu würdigen.

 

Point of no return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst“ bis 3. November 2019 im Museum der bildenden Künste Leipzig. Di und Do-So 10 – 18 Uhr, Mi 12-20 Uhr. Katalog im Museumsshop 35 Euro